Arbeitslosigkeit und Sucht
„Und wenn ich eine Arbeit habe, wird alles wieder gut...“ Diese Aussage hören wir sehr oft im Standort „Sucht und Beschäftigung“. Arbeit bedeutet für viele Menschen nicht nur Erwerbstätigkeit, um Geld zu verdienen, sondern auch Tagesstruktur, ein geistiger bzw. körperlicher Input, soziale Kontakte. Eine unserer Klient_innen sagte sogar, dass es ihr bei einer Arbeit vordergründig weder um das Geld noch um eine sinnstiftende Tätigkeit gehe, sondern vielmehr darum, nach langer Arbeitslosigkeit einen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten, ein Teil davon zu sein.
All das macht deutlich, wie belastend ein Leben ohne Erwerbsarbeit sein kann. Die fehlende Struktur, fehlende Sozialkontakte, zunehmende Einsamkeit und damit einhergehende Selbstzweifel können sich wesentlich auf den Selbstwert und die Gesundheit auswirken. Das Gefühl, nicht dazuzugehören, bzw. das Gefühl von Leere, Perspektivenlosigkeit, gepaart mit psychischen Belastungen wie bspw. depressive Verstimmungen werden oft mittels Substanzen erträglicher gemacht. Substanzkonsum und Arbeitslosigkeit gehen oft Hand in Hand, so kommt ein problematischer Substanzkonsum bei arbeitslosen Menschen häufiger vor, ebenso erhöht ein problematischer Substanzkonsum das Risiko von Arbeitslosigkeit. (vgl. Henkel: 2008)
Der Bedeutung von (Erwerbs-)Arbeit wird daher auch auf sozialpolitischer Ebene Rechnung getragen.
So findet sich im Drogenbericht 2020 ein Verweis auf die Bedeutung reintegrativer Maßnahmen. Das Wiener Drogenkonzept von 1999 hält fest: „Erwerbsarbeit ist ein bedeutender präventiver Faktor. Menschen ohne Arbeit sind wesentlich stärker suchtgefährdet. Die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit hat daher grundlegende suchtpräventive Bedeutung.“ Daraus leitet sich als strategisches Ziel der Sucht- und Drogenkoordination ab: „Das Ziel ist, Suchtkranken eine selbstbestimmte und sinnstiftende Lebensführung mittels der (Re-)Integration in einen Arbeitsmarkt und der sozialen (Re-)In-tegration zu ermöglichen.“ (beides zitiert aus Wiener Sucht- und Drogenstrategie 2013).
Wenn wir jedoch von Arbeitslosigkeit sprechen ist es wichtig, unterschiedliche Aspekte zu beachten. Es macht einen großen Unterschied, ob man kurz- oder langzeitarbeitslos ist, einen lückenlosen Lebenslauf nachweisen kann, sich in prekären Arbeitsverhältnissen befindet und psychische und/oder körperliche Erkrankungen aufweist.
Je größer die Belastungen im Allgemeinen sind, desto stärker wirkt sich der Verlust des Arbeitsplatzes oder der nicht erfolgte Einstieg ins Berufsleben aus. Hier kommt der Suchtprävention eine wichtige Rolle zu. Angebote in Berufsschulen oder in Polytechnischen Lehrgängen sind ebenso von Bedeutung wie Maßnahmen der betrieblichen Suchtprävention, um gefährdete Personen zu unterstützen. Denn hier ist die Gefahr besonders groß, dass der Suchtmittelkonsum durch den Verlust des Arbeitsplatzes ansteigt. (vgl. Schollbach: 2015)
Diese unterschiedlichen Belastungsfaktoren zeigen aber auch die Notwendigkeit auf, arbeitslose Menschen bestmöglich zu unterstützen. Das wiederum bedarf einer Zusammenarbeit zwischen dem AMS und den zuständigen Gesundheitseinrichtungen wie bspw. Suchthilfeeinrichtungen. Ziele sind die psychosoziale Stabilisierung, die Stärkung der eigenen Ressourcen, die Förderung der Gesundheit, was letztlich alles zur Erhöhung der Beschäftigungsfähigkeit beiträgt und wieder Perspektiven geben kann.
Diese werden jedoch durch die Pandemie geschmälert. Die Arbeitslosenzahlen in Österreich sind so hoch wie seit Jahrzehnten nicht, dazu kommen Kurzarbeit, die Angst vor Arbeitsplatzverlust und veränderte Arbeitsbedingungen. Noch gibt es nur wenige Zahlen zum Suchtmittelkonsum während der letzten Monate, doch werden die wirtschaftlichen Folgen und längerfristigen psychischen Belastungen auch dann spürbar sein, wenn wir in die „Normalität“ zurückkehren. Deshalb ist jetzt wichtig, Prävention und Intervention im arbeitsmarktpolitischen Bereich gerade auch zum Thema Sucht zu etablieren.
Barbara Waidhofer, Leiterin des Standorts „Sucht und Beschäftigung“
Henkel, Dieter: Arbeitslosigkeit und Sucht, Ein Handbuch für Wissenschaft und Praxis, Frankfurt : 2008
Horvath, Ilonka et al.: Bericht zur Drogensituation 2020, Gesundheit Österreich, Wien : 2020
Schollbach, Marianne: Der Versuch der Darstellung der Korrelation zwischen Arbeitslosigkeit und Suchtmittelabhängigkeit, Neubrandenburg, 2015
Sucht- und Drogenkoordination Wien (Hg.): Wiener Sucht- und Drogenstrategie 2013, Wien : 2013