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Ich kann jederzeit aufhören (zu unterstützen) – ich bin doch nicht (co-)abhängig

Getragen von den besten Motiven ertragen viele Angehörige von suchtkranken Menschen die zusätzlichen Belastungen, die durch den Konsum und seine Begleitfolgen in zwischenmenschlichen Beziehungen aller Art auftreten können, stoisch. Ausfälligkeiten im Rausch werden bagatellisiert, nicht-wahrgenommene Verantwortungen kompensiert und der Status Quo mitsamt Konsum finanziert. Nun sind das Helfen und Unterstützen auch in vielen Fällen hilfreich und erfolgreich. Doch vermeintlich hohe Motive und moralische Tugenden können auch zu Lastern werden, wenn „arme Kranke“ von ihrer Verantwortung entbunden werden.

Werden Angehörige in Suchtberatungseinrichtungen vorstellig, beschreiben sie oft ein Eingenommensein von dem Wunsch, der suchtkranken Person zu helfen. Unter einer steten Zunahme der Hilfsbemühungen geht dies zunehmend auf Kosten eigener Vergnügen und Interessen. Trotz ihrer hohen persönlichen Belastung halten sie zu ihnen und werden meist dennoch – oder gerade deswegen - von Scham- und Schuldgefühlen begleitet. Ausgebranntsein, Erschöpfung und Depression sind nicht selten die Folge. Diese Parallelen zu den Symptomen von Suchterkrankungen haben manche Autor_innen dazu veranlasst, von Co-Abhängigkeit zu sprechen. Das Gesundheitsportal Österreich beispielsweise definiert Co-Abhängigkeit als „Verhaltensweisen von Angehörigen…, die eine Bedeutung für die Entstehung, Verstärkung oder Förderung von Suchtverhalten haben können“. Aber Co-Abhängigkeit ist keine „heimliche Unterstützung der Sucht“, wie manche Autor_innen behaupten– dafür sind die Belastungen für Angehörige zu deutlich spürbar. Noch wichtiger ist, dass darin auch keine Schuldzuweisung steckt, sondern vielmehr die Mitverstrickung in eine Erkrankung. Und auch wenn es schwerfällt, das zu akzeptieren: Der allgemeine Einfluss von Angehörigen auf eine suchtkranke Person ist begrenzt. 

Co-Abhängigkeit vollzieht sich nicht nur in personellen Systemen wie Familien und Freundeskreisen, sondern auch in Suchtberatungsinstitutionen und Betrieben. In letzteren kann sich co-abhängiges Verhalten beispielsweise durch überbetonte Solidarität mit Suchtkranken – wie geringe Arbeitsansprüche und umso größere Kompensationen – und einen inkonsequenten und entschuldigenden Umgang mit ihnen zeigen. Das Verpassen der Chance, suchtkranke Mitarbeiter_innen im Rahmen der Fürsorgepflicht zu einer Beratung zu motivieren - denn es „würde ja schon wieder werden“ oder „war seit jeher so“ -, stellt ein Paradebeispiel dar.

Wirkliche Unterstützung – sei es nun auf therapeutischer, sozialer oder betrieblicher Ebene - ist weder dadurch gekennzeichnet, jegliches Verhalten gutzuheißen noch jegliche Unterstützung zu vermeiden, sondern dadurch, für suchtkranke Menschen unter Wahrung der eigenen Grenzen da zu sein, ohne aber Dinge für sie zu regeln. So wie eingefahrene Verstrickungen nach und nach gemeinsam mit den Betroffenen erkannt, aufgearbeitet und aufgelöst werden können, können Freiräume von Angehörigen zurückgewonnen werden - und mit ihnen wieder mehr Lebensqualität.