Nur Worte? - Wie Sprache zur (Ent-)Stigmatisierung beitragen kann
Denken formt Worte, Worte formen aber auch das Denken. Anhand dieses Grundsatzes lässt sich trefflich über Bezeichnungen für suchtkranke und drogenkonsumierende Menschen diskutieren. Denn Verharmlosung (bei Alkohol) und Dramatisierung (bei illegalen Suchtmitteln) haben eine lange Tradition.
„Der stille Zecher“ ist ein Lied von Hermann Leopoldi, in dem ein Alkohol trinkender Mann portraitiert wird. Oft wird der Alkoholkonsum auf ähnliche Art und Weise verniedlicht, was sich in fast liebevollen Bezeichnungen für Menschen mit Alkoholabhängigkeit niederschlägt: z. B. Don Promillo oder Blaumeister. Manchmal wird auf körperliche Auswirkungen Bezug genommen (Saufnase), drastischer ist schon der Begriff „Säufer“. Hier wird auf die Tierwelt verwiesen, die nicht kontrolliert trinkt, sondern eben säuft. All diese Bezeichnungen beziehen sich direkt auf den Konsum und lassen den Krankheitsaspekt außen vor, was der Verharmlosung des Alkohols in der Gesellschaft Vorschub leistet. Was kann an einem „Schwipserl“ oder „Damenspitz“ schon verwerflich sein? Und selbst wenn jemand „blunzenfett“ ist, klingt das wie ein guter Scherz, nicht aber nach einer Berauschung mit möglicherweise massiv negativen Konsequenzen.
Anders verhält es sich mit dem Konsum von illegalen Substanzen. Hier wird sehr rasch auf die Krankheit Bezug genommen, etwa im Wort „Süchtler“. Damit wird impliziert, dass Konsument_innen von illegalen Substanzen anders als Alkoholkonsumierende einer hohen Suchtgefahr ausgesetzt sind. Auf die angebliche Gefährlichkeit von Substanzen weist der pauschal verwendete Begriff Rauschgift / Suchtgift hin. Dass fast alles in falscher Dosierung tödlich wirken kann, wird dabei außer Acht gelassen. Im Allgemeinen wird nun das neutralere Rauschmittel / Suchtmittel verwendet. Auch „Junkie“ findet sich inzwischen nur noch selten. Heroinkonsument_innen erfuhren durch den Begriff eine massive Abwertung, bedeutet Junk doch Müll. Dass er auch zur Selbstbezeichnung verwendet wurde (und wird), ändert nichts an der Unverhältnismäßigkeit des Begriffs.
All das sind Beispiele dafür, wie Stigmatisierung durch Sprache passiert. Nebensache? Nun, man stelle sich die Empörung vor, wenn über Krebskranke als „Krebsler“ oder „Tumoristi“ gesprochen würde. Nimmt man Sucht als Erkrankung ernst, wäre eine ebenso präzise Benennung und eine Unterscheidung von Konsument_innen und Suchtkranken angebracht. Allein das wäre ein wichtiger Beitrag zur Enttabuisierung und Normalisierung von Suchterkrankungen. Das ist im Bereich der psychischen Erkrankungen und Behinderungen bereits weitestgehend gelungen, zumindest findet darüber mehr Diskussion in der Gesellschaft statt.
Im Dialog legen wir Wert auf eine nicht-diskriminierende Sprache, egal um welchen Teil der Persönlichkeit es geht. Wir versuchen einerseits wissenschaftliche Entwicklungen mitzutragen (etwa die Bezeichnung Opioidagonistentherapie statt Substitution), andererseits gängige Begriffe kritisch zu hinterfragen (z. B. Co-Abhängigkeit, die suchtförderndes Verhalten in die Nähe einer Erkrankung rückt).
Sprache kann viel – professionell verwendet, sollte sie vor allem Tatsachen als solche benennen, ohne sie zu bewerten.
