„Ich hatte den Konsum lange gut im Griff“
Herr P. , Mitte Vierzig, ist seit rund einem Jahr im Dialog in Betreuung. Wir haben ihn zu seiner persönlichen Erfahrung zum Thema Alkohol am Arbeitsplatz befragt.
Dialog: Sie haben sich bei uns Behandlung begeben, weil Sie ein Alkoholproblem haben, und gehen nach wie vor Ihrer Arbeit nach. Wie ging und geht es Ihnen damit in Ihrem Job?
Herr P.: Die Suchterkrankung und die für mich wahrnehmbare körperliche Abhängigkeit ist bereits vor der Arbeit entstanden, aber sie ist durch den Job verstärkt worden. Während der Arbeit ist nicht getrunken worden, aber danach. Am nächsten Tag mit Hang-Over im Büro war eine Herausforderung. Es hat aber nur ganz vereinzelt Tage gegeben, an denen ich deswegen zuhause bleiben musste, da ich die Konsummenge ganz gut im Griff hatte.
Dialog: Wann haben Sie begonnen, Ihren Konsum als problematisch zu empfinden und woran haben Sie es im Job bemerkt (Stichwort: Leistungsabfall, Verlässlichkeit, ...)?
Herr P.: Meine Alkoholproblematik hatte ich schon vor dem Jobantritt bemerkt. Zu Beginn hat das im Beruf keinen negativen Einfluss gehabt. Ich konnte mein Problem gut kontrollieren. Als es jedoch nach einiger Zeit einen Wechsel im Leitungsteam gab, wurde es schwieriger und ich habe den Sinn in meiner Tätigkeit nicht mehr gesehen. Dadurch hat mich eine starke Demotivation erfasst und es hat sich sukzessive eine depressive Stimmung bei mir aufgebaut. Einen Leistungsabfall habe ich am ehesten durch die Medikation bemerkt, dass ich zum Beispiel schon in der Früh müde war. Hier war der Alkohol nur bedingt dafür verantwortlich.
Dialog: Ist Ihr Konsumthema Kolleg_innen, Vorgesetzen oder anderen Personen in der Arbeit aufgefallen? Wurde es angesprochen? Wenn nein, was glauben Sie, warum nicht?
Herr P.: Es wurde nicht angesprochen, ich glaube, weil es nicht bemerkt wurde. Ich habe es am Abend nicht übertrieben (4- 6 große Bier wochentags). Daher gab es keine großen Hang-Over, aber dafür wurde ich manchmal auf meine Müdigkeit angesprochen.
Mir wäre es sehr unangenehm gewesen, wenn man mich darauf angesprochen hätte. Deswegen habe ich auch dafür gesorgt, dass der Konsum unter der Woche nicht aus dem Ruder gelaufen ist. Die Menge, 4-6 Bier, waren auch ausreichend, dass ich mich „beruhigen“ konnte; mehr war unter der Woche nicht nötig.
Dialog: Sie haben sich freiwillig in Behandlung begeben – was war der Grund? War der Job eine Motivation, etwas an Ihrem Konsum zu ändern?
Herr P.: Es war alles schon sehr anstrengend für mich. Alles war eine Qual, vor allem im Job. Der Job war kein Grund, meinen Konsum zu ändern, eher im Gegenteil. Der Job war sehr belastend, kräftezehrend. Ich wollte irgendwann nicht mehr so weitermachen und habe mich beim regionalen Kompetenzzentrum gemeldet. Das war ein Tipp von einem Bekannten. Um meine Problematik nachhaltig in den Griff zu bekommen, habe ich mich für einen stationären Entzug entschieden.
Die Abstinenz war elementar, damit ich etwas an meiner Arbeitssituation ändern konnte. Nach 25 Jahren Alkoholkonsum wollte ich für mich eine klare Entscheidung treffen und den Konsum auf null bringen. Dann haben sich neue Perspektiven im Unternehmen ergeben und ich hatte die Kraft und Motivation, an diesen neuen Optionen weiterzuarbeiten.
Dialog: Wenn der Betrieb gewusst hätte, dass Sie ein Alkoholproblem haben. Wie hätte der Arbeitgeber Sie unterstützen können? Was wäre hilfreich?
Herr P.: Im Unternehmen gibt es ein verankertes Programm und es nimmt diese Thematik ernst. Es gibt einen Betriebsarzt und Vertrauenspersonen, welche als Ansprechpartner da gewesen wären. Wenn man glaubt, ein Problem zu haben, weiß man, wo man nachschauen und an wen man sich wenden kann. Es ist eigentlich ok so. In der Praxis weiß ich aber nicht, wie gut es funktioniert. Ich wollte mein Problem jedenfalls extern lösen. Die Leitungsebene hat eine lange Zeit zugeschaut, wie es mir immer schlechter gegangen ist. Hier hätte mir jemand mal ein Gespräch anbieten können. Aber wenn es im Unternehmen andere "wichtigere" Probleme zu lösen gibt, macht man die Augen zu und es werden Prioritäten abseits dem Erhalt und Förderung der Mitarbeitergesundheit, gesetzt.
