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„Lass dich nicht vom Wein verlocken, ...“ - Suchtmittelkonsum in den Weltreligionen

Der Umgang mit Suchtmitteln in unterschiedlichen Kulturen ist nicht zuletzt durch die Religion geprägt. Um Regeln und Verbote zu argumentieren, wird dabei oft auf die „heiligen Bücher“ verwiesen, die jedoch Spielraum für Interpretationen lassen. Ein kurzer Überblick über die verschriftlichte und gelebte Haltung der Weltreligionen zum Konsum von berauschenden Mitteln soll ein wenig Orientierung geben.

Der Umgang mit Suchtmitteln in unterschiedlichen Kulturen ist nicht zuletzt durch die Religion geprägt. Um Regeln und Verbote zu argumentieren, wird dabei oft auf die „heiligen Bücher“ verwiesen, die jedoch Spielraum für Interpretationen lassen. Ein kurzer Überblick über die verschriftlichte und gelebte Haltung der Weltreligionen zum Konsum von berauschenden Mitteln soll ein wenig Orientierung geben.

In der Bibel spielt Alkohol eine zentrale Rolle. Besonders im Neuen Testament kommt dem Wein durch die Gleichsetzung mit dem Blut Christi eine besondere Bedeutung zu. Doch auch an anderer Stelle, etwa bei der Hochzeit von Kanaan, in der Wasser in Wein verwandelt wird, taucht Alkohol als Symbol für Feiern und Lebensfreude auf. Dies findet sich auch als explizite Aufforderung: „Haltet ein festliches Mahl und trinkt süßen Wein“ (Nehemia 8, 10). Andererseits wird vor übermäßigem Konsum und Berauschung gewarnt: „Betrinkt euch nicht; das führt nur zu einem ausschweifenden Leben“ (Epheser 5, 18). Auch werden abschreckende Beispiele angeführt, wenn sich etwa Noah, der Begründer des Weinbaus, im Rausch „entblößt“ (Genesis 9, 20) oder Loth von seinen Töchtern betrunken gemacht wird, um mit ihnen Nachfahren zu zeugen (Genesis 19, 30 – 38). Andere Suchtmittel spielen eine untergeordnete Rolle, wobei die Bewegung der Rastafari in Bezug auf Cannabis eine Sonderstellung einnimmt.

Eine große Rolle spielt Alkohol und besonders Wein auch im Judentum. Die Regeln im Umgang damit, die sich aus der Thora ableiten, sind im Talmud gesammelt. Alkohol und Cannabis gelten als koscher, wobei es für den Anbau und die Ernte klar definierte Regeln gibt. Der Konsum von Alkohol ist bei religiösen Anlässen und in Traditionen zum Teil festgelegt, etwa vier Becher Wein zu Pessach oder der Kiddusch, der Segensspruch über dem Wein bei Hochzeiten. Berauschte Personen sind etwa von Einschränkungen bei der Ausübung der Religion betroffen.

Über den Konsum von Alkohol im Islam wird häufig sehr undifferenziert berichtet. Tatsächlich findet sich im Koran in frühen Suren eine positive Wertung. So wird der Nutzen des Konsums den Nachteilen gegenübergestellt (2:219), bevor „Wein, das Losspiel, Opfersteine und Lospfeile“ als „Teufelswerk“ gebrandmarkt werden (5:90). Das bedeutet jedoch nicht, dass Alkohol in allen muslimisch geprägten Ländern verboten ist. So gilt Raki, ein hochprozentiger Schnaps, in der Türkei als Nationalgetränk und in manchen arabischen und nordafrikanischen Ländern wird Wein akzeptiert. Dennoch zählt der Konsum von Alkohol im muslimischen Recht zu den Hadd-Strafen, das heißt, dass er nicht nur die einzelne Person betrifft, sondern auch als Gefährdung der öffentlichen Moral und Sicherheit betrachtet wird. Deshalb ist er in vielen Ländern, wie etwa dem Iran, mit drakonischen Strafen belegt. Auch andere psychoaktive Substanzen gelten als haram, also verboten, doch wird der Konsum von Cannabis, Opium oder Kath eher akzeptiert.

Der Buddhismus sieht eine Berauschung als Hindernis auf dem Weg zur Selbstfindung und Reinigung des Geistes. Deshalb lautet die fünfte Sittenregel (Silas) auch: „Ich übe mich darin, keine den Geist berauschende Mittel zu nehmen.“ Während Alkohol in der Praxis eine untergeordnete Rolle spielt, wurden bewusstseinserweiternde Substanzen besonders im modernen westlichen Buddhismus der 1960er Jahre eingesetzt, um Erleuchtungserlebnisse zu fördern. 

Wie der Buddhismus ist auch der Hinduismus keine Gesetzesreligion. Auffallend ist, dass in der hinduistischen Tradition der Rausch per se nicht negativ konnotiert ist. In den Veden, einer Sammlung religiöser Schriften, wird einem mythischen Rauschtrankt namens Soma viel Raum gegeben. Dass Cannabis zum Teil für religiöse Riten eingesetzt wird, geht auf eine Erzählung zurück. Eine der wichtigsten drei Gottheiten, Shiva, sei unter einer Hanfpflanze eingeschlafen und erfrischt erwacht, woraufhin er sie zu seiner Lieblingspflanze erkoren habe. Somit gilt er als Herr des Bangh, ein Cannabisprodukt mit relativ niedrigem THC-Gehalt, das in manchen Teilen Indiens legal erhältlich ist. Der Konsum von Alkohol hingegen steht einem asketischen Leben entgegen und war lange Zeit besonders in höheren Kasten verpönt. Auch Mahatma Gandhi positionierte sich als Befürworter der Prohibition, die in der Form heute nicht mehr existiert.

Auch wenn die Bedeutung von Religion in vielen Teilen der Welt abnimmt, prägt sie nach wie vor Einstellungen, Haltungen und Gesetze. Eine konsum- und rauschfreie Kultur mag dabei eine Wunschvorstellung sein, entspricht jedoch nicht der Realität. Vielmehr ist die Verbindung von Konsum und Spiritualität auch in vielen Naturreligionen gegeben: Die Ansicht, Berauschung verhindere eine Annäherung ans Göttliche, steht hier neben der gegenteiligen Meinung, dass erst die Erweiterung des Bewusstseins die Tore zur Transzendenz öffnet.