Glaube versetzt Berge? - Spiritualität in der Klient_innenarbeit
Es ist ein berührender Moment in einem der Dialog Standorte, bei dem ich anwesend bin: An diesem Tag wird in der Teambesprechung erzählt, dass ein Klient verstorben ist. Eine Kerze wird angezündet und die zuständige Betreuerin erzählt von dieser Person. So wird an sie gedacht und für die Mitarbeiter_innen der Beratungsstelle, die ja auch betroffen und traurig sind, gibt es Raum für einen Abschied.
Auch Klient_innen fragen uns öfters um Hilfe und Beistand bei Abschiedsritualen, wenn jemand aus ihrem Umfeld verstirbt. Wir müssen dann oft erst erfragen, ob jemand gläubig ist und woran geglaubt wird, um gemeinsam eine passende Verabschiedungsform zu finden.
Der Dialog ist eine Beratungsstelle, die konfessionslos ist und mit öffentlichen Mitteln gefördert wird. Religion, der Glaube und Spiritualität sind weder bei der Aufnahme von Klient_innen noch von Mitarbeiter_innen Thema.
Wir Betreuer_innen bringen das Thema Spiritualität und Glaube somit selten aktiv in die Beratungs- und Betreuungstätigkeit ein, es kommt aber sehr wohl vor, dass Klient_innen uns als Gesprächspartner_innen dafür suchen. Dabei ist es wichtig, die individuellen spirituellen oder religiösen Überzeugungen einer Klient_in zu berücksichtigen und in den Behandlungsplan zu integrieren, auch wenn die eigene Weltanschauung eine andere ist. Spiritualität kann auch Suchtklient_innen Antworten auf existenzielle Fragen und einen tieferen Lebenssinn bieten.
Es gibt Klient_innen, die Kontakt zu Glaubensgemeinschaften haben und dort sowohl soziale Kontakte pflegen als auch neue Wertevorstellungen entwickeln. Die Begründung durch „die Kraft der Gemeinschaft“ wird als Erklärung für vieles genommen. Aufnahmerituale, ja selbst Namensänderungen können ein wichtiger Teil sein. Manchmal wird es dann schwer für diese Personen, wenn sie ihr eigenes Konsum- oder Suchtverhalten als Verfehlung oder „Sünde“ sehen und Angst vor einer Bestrafung dafür – in diesem oder einem anderen Leben - durch eine höhere Macht haben.
Im Frühjahr dieses Jahres haben einige Kolleg_innen aus dem Dialog die Therapieeinrichtung Cenacolo im Burgenland besucht, wo immer wieder auch Dialog-Klient_innen aufgenommen werden. „Kraft der Gemeinschaft und Kraft im Glauben“ ist dort der zentrale Grundsatz. Dieser spirituell-religiöse Blickwinkel auf Sucht(behandlung) versteht sich nicht als Konkurrenz zu anderen Angeboten, sondern bietet eine Möglichkeit, Abstinenz aufrechtzuerhalten. Dabei helfen das Vertrauen auf eine höhere Macht, Beschäftigung, die Gemeinschaft und klare Strukturen wie etwa das Morgengebet. Auch die generelle Einschränkung des Konsums, das Angewiesensein auf Spenden und auf die Produkte aus eigener Ernte werden als wichtige Elemente erlebt.
Auch von unseren Standorten in den Polizeianhaltezentren und Justizanstalten wissen wir, dass die Seelsorger_innen von unterschiedlichen Konfessionen, die dort vor Ort sind, viel Zulauf haben. Wenn Personen eingesperrt sind, werden Glaube, Rituale und jemand, der einen nicht dafür verurteilt, wichtig. Die Klient_innen berichten auch, dass ihnen Beten während der Haft Struktur gibt und so den Alltag leichter aushaltbar macht.
Klient_innen in der Suchthilfe schildern uns aber auch manchmal von spirituellen Erfahrungen, die uns sehr „schräg“ vorkommen, vor allem, wenn man weiß, dass diese Klient_innen auch Substanzen konsumieren, die Psychosen auslösen können. Eine drogeninduzierte Psychose ist eine psychische Störung, die durch den Konsum von psychoaktiven Substanzen ausgelöst wird. Sie kann vorübergehend oder dauerhaft sein und äußert sich oft in Wahnvorstellungen oder Halluzinationen.
Berichtet wird davon, „die Auserwählte“ zu sein, von „Dämonen, die in einem sind“ oder von „Kontakt mit Jesus“. Wir stehen im Gespräch dann vor der Herausforderung herauszufinden: Was sind reale Erfahrungen, was war ein Traum, was sind drogenindizierte wahnhafte Vorstellungen und wir sollen wir damit umgehen? Ist eine medizinische Behandlung nötig? Wie weit gehen wir mit dem Erzählten mit, wo müssen wir widersprechen?
Es gibt bekannterweise viele Methoden in der psychosozialen Betreuung, mit dem gemeinsamen Ziel, die Selbstreflexion von Menschen zu fördern und Ressourcen zu aktivieren, um so die Lebensqualität zu verbessern. In diesem Sinn kann und soll auch das Thema Spiritualität dazu beitragen, Klient_innen die notwendige Hilfestellung zu geben. Denn: „Alles, was du suchst, ist bereits in dir.“ – (Rumi/persischer Sufi-Mystiker)