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Suchterkrankungen und Essstörungen: „Same but different?“

Laut der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen sind Essstörungen als psychosomatische Erkrankungen mit Suchtcharakter zu verstehen. Dies bedeutet, dass es sich dabei um psychiatrische Symptombilder handelt, die seelisch (psychisch) bedingte Hintergründe aufweisen und sich körperlich (somatisch) auswirken. Die allseits bekannten Essstörungen Anorexia Nervosa („Magersucht“), Bulimia Nervosa („Ess-Brech-Sucht“) und Binge-Eating-Störung (anfallsartiges Überessen) sind einer Suchterkrankung in vielerlei Hinsicht ähnlich, werden aber dennoch als eigene Kategorie psychiatrischer Erkrankungen beschrieben. Auffallende symptomatische Ähnlichkeiten betreffen den Kontrollverlust, der neben Suchterkrankungen vor allem mit der Binge-Eating Disorder assoziiert wird, sowie auch die zunehmende Gestaltung des eigenen Alltags um das veränderte Ess- beziehungsweise Konsumverhalten.

Eine weitere Ähnlichkeit zur Suchterkrankung betrifft die Ätiologie der Essstörungen. Sie haben keine isolierten Ursachen. Ein Zusammenwirken verschiedener Risikofaktoren kann zum Ausbruch der Erkrankung führen. Laut Killeen et al. (2015) gibt es viele Erklärungen für die Überschneidungen zwischen Essstörungen und Suchterkrankungen, einschließlich gemeinsamer biologischer, psychologischer und sozialer Risikofaktoren, welche die Prädisposition für die Entwicklung komorbider Krankheiten erhöhen. Dem systemischen Ansatz der Psychotherapie zufolge, wie er beispielsweise von Palazzoli oder Satir vertreten wird, sind Essstörungen auch als Resultat dysfunktionaler Beziehungsdynamiken zu sehen: Oft handelt es sich um Herausforderungen in den Aspekten von Autonomie, Konfliktverhalten und auch (Geschlechts-)Identität. Die Störung sei dabei das Anzeichen dieser Schwierigkeiten, die „Index“-Patient_innen jene, an denen sich dieses zeigt. Gemeinsam ist Suchterkrankungen und Essstörungen in dieser Hinsicht, dass sie von den Betroffenen oft als „bestmögliche“ Lebensbewältigungs- oder Lösungsstrategie erlebt werden.

Die sehr ernstzunehmenden Symptome von Essstörungen treten häufig bereits im Jugendalter auf. Nach Adipositas (Fettleibigkeit) und Asthma bronchiale ist Anorexia Nervosa eine der drei Erkrankungen in der Adoleszenz mit dem höchsten Risiko zur Chronifizierung. Bis zu 50% aller Personen, die an einer Bulimia nervosa leiden, weisen parallel dazu eine Suchterkrankung auf. (Karwautz, 2019). Darüber hinaus gibt es bei beiden Syndromen überschneidende Komorbiditäten, also das gleichzeitige auftreten anderer Erkrankungen: Auch Angststörungen, Depressionen, Zwangsstörungen und Persönlichkeitsstörungen können mit ihnen einhergehen.

In Wien gibt es für Essstörungen zwei spezialisierte Beratungsstellen: (siehe Artikel unten) Neben Betroffenen können sich auch Eltern und Angehörige Beratung bei diesen Stellen suchen. Die Ansätze der psychotherapeutischen Behandlung, wie sie beispielsweise bei „intakt“ angeboten wird, sind nicht unähnlich zu denen, die in der Behandlung von Suchterkrankungen angewandt werden: Die Bearbeitung aktueller Belastungen, das Wiedererlernen von Wahrnehmungsfähigkeit, die Entwicklung eines positiven Selbstbildes und auch das Wiedererlernen von Kontrolle und Begrenzung.

Literatur:

Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen https://www.dhs.de/suechte/essstoerungen

Karwautz, A. (2019). Essstörungen. Österreichische Ärztezeitung 13/14. 28-35

Killeen T, Brewerton T. D., Campbell A., Cohen L.R., Hien D.A. Exploring the relationship between eating disorder symptoms and substance use severity in women with comorbid PTSD and substance use disorders. The American Journal of Drug and Alcohol Abuse. 2015;41(6):547-52.